»Das Jahr ohne Sommer« von Constanze Neumann

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»Das Jahr ohne Sommer« von Constanze Neumann

Das Mädchen ist noch klein, als die Eltern be­schließen, die DDR zu ver­lassen. Doch leider miss­glückt der erste Flucht­ver­such. Die Eltern werden in­haftiert und das Kind kommt zu den Groß­eltern, die es ab sofort schwer haben. Denn mit Re­publik­ver­rätern spaßte man nicht im deutschen Osten. Und auch nicht mit deren An­ge­hörigen. Doch schließ­lich kauft der Westen die Familie frei und sie werden offiziell zu West­deutschen, die hin­gehen können, wo sie hin­gehen möchten. Das Schick­sal ver­schlägt sie nach Aachen, in die so ziem­lich west­lichste Stadt der Bundes­republik Deutsch­land. Doch auch in Aachen ist nicht alles Gold, was glänzt. Die Mutter, schwer ge­zeichnet durch die Haft und eine noch schlecht er­forschte Auto­immun­erkrankung, zieht sich immer mehr in ihr Schnecken­haus zurück. Der Vater ist hin- und her­ge­rissen zwischen der Dank­bar­keit, in Aachen leben zu dürfen, und der in seinen Augen ober­fläch­lichen Lebens­art der Westler. Und das kleine Mädchen? Es tanzt zwischen zwei Welten. In Aachen ist sie die Ost­deutsche, die ver­sucht, sich gegen den Willen des Vaters maximal an­zu­passen. Bei Familien­be­suchen in Leipzig ist sie die aus dem Westen, die sich in dem Ort, der einst ihr Zu­hause war, nicht mehr heimisch fühlt. Als wäre es nicht schon schwer genug, er­wachsen zu werden.

Ich bin völlig un­be­darft an das Buch heran­ge­gangen, weil ich keine Ahnung hatte, was da auf mich zu­kommt. Und wie bei so ziem­lich jeder Lektüre habe ich mich nach und nach ein­ge­funden. Fühlte mich mit manchen Cha­rak­teren ver­bunden, schüttelte den Kopf über andere. Bis im Text plötz­lich der Name Neumann fiel. Verdammt, das ist gar kein Roman? Eine kurze Re­cherche be­stätigte meinen Verdacht. Der Text ist auto­bio­grafisch. Und plötz­lich ver­bat ich es mir selbst, zu sehr Partei zu er­greifen, denn über echte Menschen mag ich nicht ur­teilen. Über den Text da­gegen schon.
Er ist wie ein Sog. Auf der einen Seite hat er etwas Sach­liches und gleich­zeitig taucht man recht tief ein in die Ge­fühls­welt des Mädchens. Ich hätte sie so manches Mal gerne in den Arm ge­nommen, weil sie so ver­loren wirkte, und sie an anderer Stelle gerne be­stätigt. Komm, geh deinen Weg. Es wird viel­leicht nicht alles gut, aber das ist okay so. Das nennt man Leben. Denn so ist es nun­mal. Viele von uns er­leben im Laufe der Jahre Dinge, die man sich so nicht wünscht und wenn es okay läuft, zer­brechen wir nicht daran. Wobei ich beim Epilog schon schlucken musste. Zeigt er doch, dass jeder Mensch nur ein be­grenztes Maß an Schick­sal schultern kann.

„Das Jahr ohne Sommer“ von Constanze Neumann ist ein stilles Buch. Aber wie sagt man so schön? Stille Wasser sind tief. Und stille Bücher zum Glück auch.

Transparenz

Ich habe dieses Buch selbst gekauft und der Artikel spiegelt meine eigene Meinung wider, die von niemandem beeinflusst wurde.

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