Liebes Tagebuch

Alltägliches

Liebes Tagebuch

Liebes Tagebuch … So oder so ähnlich stellen sich viele wahrscheinlich den Beginn eines Tagebucheintrags vor. Ich fülle seit meinem 12. Lebensjahr unzählige Bücher mit all dem, was mir so durch den Kopf geht, aber kein einziger meiner Einträge begann mit den Worten „Liebes Tagebuch“. Für mich ist es keine Person, die ich dort anspreche, sondern es ist ein Ort. Ein Ort, an dem ich mich mit meiner Innenwelt auseinandersetze. Ein Ort, an dem ich völlig unzensiert alles niederschreibe, was mich beschäftigt. Aber sind nicht alle Gedanken unzensiert, werden sich jetzt wahrscheinlich einige von Euch fragen. Schließlich kann niemand von außen bestimmen, was wir denken. Theoretisch ja. Praktisch ist es aber schon so, dass es Gefühle und Gedanken gibt, von denen wir glauben, sie nicht haben zu dürfen. Angst, Unsicherheit, Hoffnungen. Man muss nur stark genug, realistisch genug oder was auch immer sein. Dann hat man keine Angst und glaubt nicht an Luftschlösser. Aber hey, es ist okay, all diese Gefühle zu haben und das Tagebuch ist genau der richtige Ort, um sich damit auseinanderzusetzen.

Was übrigens nicht bedeutet, dass das Aufschreiben negativer Gedanken negatives Denken fördert. Das bin ich mal von jemandem gefragt worden und konnte diese Frage ganz klar verneinen. Das Aufschreiben zeigt lediglich auf, was ohnehin da ist. Tief in mir drin. Es nicht aufzuschreiben heißt nicht, dass es nicht irgendwo in einem arbeitet. Es aufzuschreiben bedeutet viel mehr, dass das Unterbewusstsein einen festen Platz im Leben hat, wo es alles abladen kann. Und wenn es sich nicht an Sorgen, Ideen oder Pläne erinnern muss, ist es freier für Kreativität.

Das ist auch der Grund, warum die sogenannten Morgenseiten bei kreativen Menschen so beliebt sind. Julia Cameron widmet sich in ihrem Buch „Der Weg des Künstlers“ aus­führlich diesen Morgenseiten. Das Prinzip ist ganz einfach. Man setzt sich morgens direkt nach dem Aufwachen hin und schreibt alles auf, was einem so durch den Kopf geht. Und wenn ich „morgens direkt nach dem Aufwachen“ schreibe, dann meine ich das auch so. Ohne Umweg über das Smart­phone, nach dem heutzutage so viele Menschen morgens als erstes greifen. 3 DIN A 4 Seiten werden voll­geschrieben, un­ab­hängig davon, ob man etwas zu sagen hat oder nicht. Das glauben nämlich anfangs viele. Dass sie nichts zu sagen hätten. Aber je mehr man diese Sache mit dem Schreiben übt, desto mehr stellt man fest, dass da verdammt viel schlummert.

Allerdings ist das mit den Morgenseiten so wie mit vielen anderen Trends. Man muss immer schauen, ob sie zu einem passen. In mein Leben passen sie zum Beispiel nicht. Der Morgen ist meine produktivste Zeit. Die muss ich nutzen. Nein, falsch. Die will ich nutzen. Und deshalb will ich mich nicht damit „aufhalten“ mein Seelenleben aus­ein­ander­zuklamüsern. Das kann ich machen, wenn ich mit den wichtigsten Aufgaben des Tages fertig bin. Vielleicht liegt es auch daran, dass mich das klassische Tagebuchschreiben schon seit meiner Jugend begleitet. Da hat sich eine Routine eingeschlichen, lange bevor ich von Julia Cameron gehört hatte. Und warum sollte ich eine gut funktionierende Routine durch eine andere ersetzen? Also schreibe ich später am Tag und bin damit völlig zufrieden.

Die Wahl des Werkzeugs hat Einfluss auf den Inhalt

Es gibt allerdings einen wichtigen Punkt, an dem ich mir mit Frau Cameron einig bin. Gedanken müssen von Hand auf­ge­schrieben werden. Auf Papier. Ausnahmslos. Warum? Weil die Verbindung vom Gehirn zur eigenen Handschrift eine andere ist, als die vom Gehirn zur Tastatur oder dem Handy. Etwas von Hand zu schreiben dauert länger und wir setzen uns intensiver mit dem Geschriebenen auseinander. Wahrscheinlich war ich deshalb so entsetzt, als ich im TV mal einen Mann hörte, der es in der Wirtschaft sehr weit gebracht hatte, der allen Ernstes behauptete, heutzutage sei es nicht mehr wichtig, dass Kinder das Schreiben mit der Hand lernen. Schließlich würde die meiste Kommunikation doch über das Handy oder den Computer erfolgen. Was diesen Punkt anbelangt hoffe ich, dass niemand dem Rat dieses Mannes folgt. Die Handschrift ist durch nichts zu ersetzen. Oder wollt ihr allen Ernstes einen Liebesbrief bekommen, der mit dem Computer geschrieben ist? Um nur mal ein Beispiel zu nennen.

Aber zurück zum Tagebuch. Handschriftlich muss es sein. Und auf Papier. Ein Tablet ist kein Ersatz, obwohl man darauf inzwischen mit den entsprechenden Stiften schreiben kann. Denn Papier ist auch ein Gefühl. Man benutzt dieses hübsche Notizbuch, das man auf dem Basar in Marrakesch gekauft hat. Oder es handelt sich um ein olles, schrammeliges Heft, das man ständig mit sich herumträgt. Man schreibt auf einer Seite, auf deren Rückseite die Theaterkarte von letzter Woche klebt. Das macht was mit einem. Genauso wie der fette Kakaofleck. Dadurch wird so ein Heft lebendig. Und die genutzten Stifte tragen ihr Übriges dazu bei. Bei mir ist es mal schön ordentlich mit meinem heißgeliebten Füller, manchmal total krakelig mit Fineliner oder einem Kugelschreiber. Für jede Situation oder Stimmungslage das passende Werkzeug.

Spannend finde ich übrigens auch, wie sich bei mir die Art der Hefte im Laufe der Zeit verändert hat. Anfangs nutzte ich diese sogenannten China-Kladden, deren Einband an eine chinesische Seidentapete erinnerte. Die hatten einfach eine schöne Haptik und wirkten immer ein bisschen verträumt. Allerdings überzeugte mich irgendwann die Papierqualität nicht mehr und ich stieg auf Moleskine um. Schwarz. Ausschließlich. Keine Ahnung, was mich damals geritten hat. Vielleicht lag es daran, dass ich zu dieser Zeit rund 10-12 Stunden täglich arbeitete und mich nicht mit so etwas Profanem wie der Auswahl eines Notizbuches beschäftigen wollte. Jedenfalls bin ich aus heutiger Sicht froh, dass sich das vor einigen Jahren wieder änderte. Seitdem erweitere ich meine Sammlung wieder um farbenfrohe Exemplare. Weil es einfach schöner ist, ein sonnengelbes Heft aufzuschlagen und hineinzukritzeln. Selbst wenn das Leben gerade mal wieder so richtig doof ist. Momentan ist es übrigens Rot. Rot wie die Liebe. Ob das etwas zu bedeuten hat?

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